Nicht jede Bürgerbeteiligung ist eine Bereicherung für das Gemeinwesen. Oftmals werden Formate der Beteiligung gewählt, die derart unattraktiv sind, dass sich nur radikale Gegner eines Projektes zusammen finden und die eigentlich wohlgesonnene Mehrheit schweigt. Das frustriert zu Recht Verantwortliche in den Städten und Gemeinden. Die Konsequenz heißt nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern mehr.
von Erik Flügge
Alle Anwohner eines Bauvorhabens werden zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Eine verantwortliche Person aus der Kommune präsentiert das Vorhaben. Tumult artige Zustände herrschen im Raum. Aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger rufen immer wieder dazwischen. Wut kocht hoch. Die Verantwortlichen fühlen sich missverstanden, die Bürgerinnen und Bürger auch.
Es ist Alltag geworden für Stadtplanerinnen und Stadtplaner, dass sie in Versammlungen neue Straßenführungen und Gebietserschließungen vor Gruppen präsentieren, die ihnen ihre ganze Wut entgegen schleudern. Wo immer gebaut wird, gibt es Leute, die negativ von dem Vorhaben betroffen sind. Sie wehren sich lautstark, während die Profiteure der Maßnahme sich nicht zu Wort melden. Es ist das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern, sich gegen Nachteile zur Wehr zu setzen, es muss aber in einer Demokratie auch immer Ziel sein, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen.
Der Fehler liegt in der Form
Formen der Beteiligung haben massiven Einfluss auf den Stil, in dem miteinander diskutiert wird. Wenn sich Kommunalverantwortliche vor eine Gruppe aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger stellen, um bereits weitestgehend zu Ende Geplantes zu präsentieren, dann ist von vorn herein klar, wo dieses Gespräch enden wird: In einem Wir gegen die! „Wir, die Bürgerinnen und Bürger, die übervorteilt werden, gegen die von der Stadt, die da vorne stehen und kein Verständnis für unsere Bedürfnisse haben.“
Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit, man fühlt sich überfordert und in die Ecke getrieben und eine natürliche Reaktion von Menschen auf eine solche Überforderung ist es, mit Wut zu reagieren. Nur wo Wut im Spiel ist, da versagen konstruktive Argumente. Noch so gute planerische Ansätze prallen an der Wand aus Emotion einfach ab.
Bürgerbeteiligung braucht Know How
Es ist nicht das Kerngeschäft von Stadtplanerinnen und Stadtplanern sich mit den Gefühlen von Menschen in Diskussionssituationen zu beschäftigen. Sie befassen sich beruflich mit Verkehrsströmen, mit der Luftversorgung von Stadtteilen, mit Kostenkalkulationen und Planungsverfahren. Ihre Expertise sind die Sach- und Fachfragen rund um das Planen und Bauen. Weil viele von ihnen das wissen, holen sie sich Beteiligungsspezialisten dazu. Erschütternd ist nur, wie oft diese angeblichen Spezialisten groben Unfug empfehlen.
Es ist nie dienlich eine Planerin oder einen Planer vor eine Gruppe zu stellen um etwas in Fachsprache präsentieren zu lassen. Es ist aber genauso wenig dienlich nur Unterstützung dabei zu leisten, die Fachsprache in die Sprache der Bürgerinnen und Bürger zu übersetzen. Moderation von Beteiligungsvorhaben muss mehr leisten, als Metaplankärtchen von den Bürgerinnen und Bürgern beschreiben zu lassen. Sie muss eine emotional positive Grundlage schaffen, damit überhaupt ein echter Diskurs möglich wird.
Die Planung von Beteiligungsvorhaben hat viel mit Know How zu tun. Man braucht Wissen über Räume, über gruppendynamische Effekte, über den Einfluss von Präsentationsformen und Zusammensetzung auf die innere Konstitution einer Gruppe, um dann die richtigen Empfehlungen an eine Kommune geben zu können. Viel zu oft setzen Beratungsfirmen auf billige Aushilfen, die dann nett lächelnd versuchen eine komplexe Aufgabe ohne das nötige Hintergrundwissen zu lösen.
Am Anfang einer guten Bürgerbeteiligung stehen zentrale Fragen:
– Wen müssen wir zu einer Beteiligung einladen, damit ein echter Dialog der Bürgerschaft untereinander zu Stande kommt und keine Konfrontation zwischen Stadtverwaltung und Bürgerschaft?
– Wie muss das Verfahren gewählt sein, damit nicht nur Gegner eines Vorhabens zusammen kommen, sondern auch Befürworterinnen und Befürworter?
– Wie können die planerischen Grundlagen des Vorhabens von allen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden, so dass ein größerer Gesamtzusammenhang für die Stadt über den eigenen Tellerrand hinaus auch erdacht werden kann?
– Wie muss ein Raum gewählt und bestuhlt werden, damit von Anfang an mehr Dialog und weniger Konfrontation angelegt ist?
– Welche Diskussionsform ist dienlich, damit es zu einem echten Austausch anstatt eines Schlagabtausches kommt?
– Wie kann mit allen Sinnen eine Planung nachvollzogen werden, damit man sich nicht an einzelnen Argumenten festbeißt, sondern offen wird für neue Lösungen?
– Wie können Kommunalverantwortliche gut auf eine solche Beteiligung vorbereitet werden, damit sie nicht in Konfrontation zu den Bürgerinnen und Bürgern geraten?
– Wann ist der richtige Zeitpunkt im kommunalen Planungsverfahren, um Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, damit die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger auch vernünftig eingeplant werden können?
Echte Bürgerbeteiligung kann viel zum Frieden in der Bürgerschaft beitragen und sie ist geeignet Planungen massiv zu verbessern, wenn sie richtig gestaltet wird. Das gelingt nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger in ihrer eigenen Nutzerperspektive ernst genommen werden und wenn diese gleichsam die Grenzen ihres Mitsprachespielraumes vor Augen haben. Dabei ist ein Vertrauen darauf, dass keiner der Beteiligten per se zum Nachteil des anderen handeln will, eine Grundvoraussetzung, die aber erst aufgebaut werden muss und nicht vorausgesetzt werden kann.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Beteiligung
Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Schaffung eines Dialogklimas ist die Beteiligung zum Berneckstrand in der Stadt Schramberg. Der Kommunalberater Udo Wenzl hat diesen Prozess solide geplant und moderiert und darum ist er ein Erfolg geworden.
Der Berneckstrand ist ein altes Freibad in Schramberg, das zu einem Freizeitgelände umgeplant werden soll. Zumeist ältere hatten dabei die große Sorge, dass sich das Gelände zu einem Sammelplatz für marodierende Jugendliche entwickeln könnte. Auf Einladung des Oberbürgermeisters moderierte Udo Wenzl eine Begegnung von Senioren und Jugendlichen. Um von Anfang an die Konfrontation zwischen den beiden Gruppen aufzulösen, bat der erfahrene Moderator zuerst die Senioren den Jugendlichen von ihren Erfahrungen mit dem alten Freibad jeweils in Zweiergesprächen zu berichten. Der Effekt war beeindruckend. Die Perspektive der Senioren wurde verschoben – und zwar auf die eigene Jugendzeit in Schramberg.
Die Senioren berichteten von ihren Erfahrungen als junge Menschen mit dem Freibad. Von schönen Nachmittag und vom Verlieben, von Spaß im Wasser und dem schönen Zusammensein als junge Menschen. Alsbald lösten sich auch die geballten Fäuste in den Taschen, denn plötzlich wurde für die Gegner des Projektes klar, dass sie selbst auch schon von diesem Strand profitiert hatten. In der Folge entstand ein echtes Gespräch und eine wirkliche Auseinandersetzung über Wünsche und Sorgen.
Heute ist der Berneckstrand eröffnet und ein voller Erfolg, weil es einen Dialog zwischen Interessensgruppen in der Bürgerschaft gab, anstatt einer künstlichen Konfrontation zwischen Gegnern und der Stadtverwaltung.
Hätte man zu Anfang mal wieder die typischen bunten Karten voll geschrieben und sich danach rein auf der Argumentebene zum Projekt auseinander gesetzt, hätten sich die Fronten in der Versammlung mit großer Sicherheit gegeneinander aufgeschaukelt. Das Ergebnis wäre weder Dialog noch Beteiligung, sondern nur ein Schlagabtausch gewesen.