Archiv für den Monat: Januar 2014

Jugendliche mobilisieren: Das Modell der Schulthementage

von Erik Flügge

370 Jugendlicher aller Schularten und Schulen aus Pforzheim kommen zusammen, um über ihre Stadt zu sprechen. Sie alle haben Anliegen ihrer Klassenkameradinnen und Klassenkameraden mitgebracht. Insgesamt werden so an einem Tag die Interessen von mehr als 4.000 Jugendlichen zusammen getragen. Ein Erfolg, der innerhalb von nur zwei Monaten möglich wurde.

Der Weg zu einem Jugendgemeinderat ist oft lang und steinig. Unterschiedliche Gremien, Fachämter und Funktionsträger müssen einbezogen werden und die innere Logik der Verwaltungen verlangt nach formal-rechtlicher Korrektheit. So entstehen Prozesse, die sich oftmals über viele Monate, gar Jahre ziehen, bis am Ende ein rechtlich korrekter mit Geschäftsordnung und Satzung ausgestatteter Jugendgemeinderat steht. Allerdings fehlt dann noch eines: Die Kommunikation mit der Gesamtheit der Jugendlichen.

Wie erreicht man heute noch Jugendliche? Via facebook oder whatsapp oder mit Flyern und Plakaten. Die Reichweiten beim Thema Jugendbeteiligung und Politik sind begrenzt. Denn nicht alle Jugendlichen interessieren sich für demokratische Teilhabe. Sie sind als junge Bürgerinnen und Bürger noch ungeübt mit der unserer demokratischen Staatsverfassung und haben weniger und schlimmstenfalls keine positiven Beteiligungserfahrungen in Elternhaus und Schule gemacht.

Dementsprechend schwierig ist es auf Flyer oder Soziale Netzwerke in der Kommunikation zu setzen. Denn jeder dieser Kommunikationsformen liegt das Prinzip der Viralität zu Grunde: Man muss darüber sprechen und es weitersagen, sonst kommt keiner. Viralität allerdings ist davon abhängig, dass jemand von der Sache an sich schon begeistert uns so sehr überzeugt ist, dass er oder sie es gerne und oft weitererzählt.

Die Konsequenz ist landauf, landab die gleiche: Die beteiligungsnahen, gut gebildeten Jugendlichen interessieren sich für die Jugendräte und aktivieren ihre Freundinnen und Freude für die Kandidatur und Wahlteilnahme und die Beteiligungsungeübten und Bildungsbenachteiligten bleiben unerreicht. Mit Politikverdrossenheit hat das nichts zu tun – denn der Verdrossenheit muss überhaupt erst mal ein Erstkontakt mit dem Politischen voraus gegangen sein.

Die Schulthementage knüpfen genau an diese Fragestellung an. Sie organisieren einen Prozess der wechselseitigen Verschränkung von schulischem Lernen und außerschulischer Beteiligung. Eine Form der Kooperation, die der Tübinger Schulpädagoge Marcus Syring „korrellative Kooperation“ nennt. Dieser Kooperationsform liegt ein selten in der Praxis umgesetzter Gedanke zu Grunde, der besagt, dass sowohl Schule, als auch der außerschulische Bereich jeweils einzigartige Stärken haben, die besonders im Zusammenspiel und in der wechselseitigen Anerkennung des anderen Lernortes zur Geltung kommen können.

In der Praxis heißt das: Die S&N Kommunalberatung bereitet gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern Unterrichtsentwürfe vor, die Beteiligung in der Kommune zum Unterrichtsthema werden lassen. Diese werden in Absprache mit der Stadtspitze und Schulleitungen parallel an allen Schulen einer Stadt in allen Klassen behandelt. Sie befassen sich mit Fragen der Kompetenzen einer Kommune und den einzelnen Anliegen der Schülerinnen und Schüler und münden in einer Wahl von Delegierten für ein zentrales Jugendforum.

 

Dort kommen Jugendliche aus allen unterschiedlichen Klassen und Schulformen zusammen, um ihre eigenen Anliegen und die ihrer Klassenkameradinnen und  – Kameraden miteinander zu diskutieren. Ein Diskurs über soziokuluturelle Unterschiede und Bildungsunterschiede hinweg – ganz im Sinne der deliberativen Demokratie nach Habermas. Eine Zusammenarbeitsform, wie sie besonders gut in außerschulischen Kontexten gelingt.

Die Kernkompetenz der außerschulischen Arbeit liegt allerdings in der Vermittlung eines glaubwürdigen Versprechens von Performativität. Im außerschulischen Raum sind Jugendliche eher geneigt den erwachsenen Akteuren Glauben zu schenken, dass ihre Artikulation von Anliegen nicht einem Einüben von Demokratie dient, sondern, dass die Debatte tatsächlich lebensweltverändernden und damit originär politischen Charakter hat.

Für viele Jugendliche kommt es in einem solchen Forum zu einem realen Erstkontakt mit dem Politischen.  Dieser wiederum motiviert ihren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden positiv von den Chancen der Beteiligung in der Kommune zu berichten. Im Resultat entscheiden sich aufgrund dieser Erfahrung und den Berichten über die Relevanz der eigenen Themen in der städtischen Politik viele Jugendliche für die Kandidatur zum Jugendgemeinderat und für weiteres politisches Engagement.

Die Veranstaltung wurde durchgeführt von der S&N-Kommunalberatung und moderiert von Erik Flügge, Udo Wenzl und Can Erdal. Auftraggeber war die Stadt Pforzheim. Prozessbegleiter der Stadt Pforzheim auf dem Weg zum Jugendgemeinderat war Udo Wenzl.

Die Logik des Gelingens der Jugendbeteiligung

von Udo Wenzl

SNK 1

Herr Spiess, welche Bedeutung hat die „Logik des Gelingens“ für die Beteiligung von Kinder und Jugendlichen?

Die Logik des Gelingens umfasst eine effiziente und nachhaltige Vorgehensweise, um (zwischen-)menschliche Probleme zu lösen. Diese Vorgehensweise besteht aus 2 Schritten: (1) Entwirf, bevor du etwas veränderst, eine ganz konkrete Vorstellung davon, wie die Dinge sein werden, wenn das Problem gelöst ist! (2) Analysiere, bevor du etwas veränderst, was schon gut funktioniert!

Viele Menschen versuchen (zwischen-)menschliche Probleme mit einer Strategie zu lösen, die sich für technische Probleme bewährt hat: (1) Analysiere, bevor du etwas veränderst, die Ursachen des Problems! (2) Wenn du die Ursachen herausgefunden hast, verändere sie! Diese Strategie kann für die Lösung menschlicher Probleme manchmal nützlich sein. Sie ist jedoch sehr (zeit-)aufwändig und führt unter Umständen zu Ursachen, die wir nicht ändern können, sowie zu einer unproduktiven einseitigen Suche nach „Schuldigen“.

Wenn Menschen zur Lösung von (zwischen-)menschlichen Problemen der Logik des Gelingens folgen, gelingen ihnen häufiger allerseits befriedigende Lösungen. Dadurch erleben sie sich als selbstwirksam. Und genau das ist es, was die Motivation zur Mitwirkung an Beteiligungsprozessen begünstigt.

Was und wie können Kinder und Jugendliche in Beteiligungsprozessen lernen?

Im Rahmen von Beteiligungsprozessen können Kinder und Jugendliche lernen, dass sie „die Welt“ zu ihren Gunsten und in Auseinandersetzung mit anderen verändern können – und wie sie das am besten machen: eben in Orientierung an der Logik des Gelingens.

Was können ProzessbegleiterInnen dazu beitragen, die Stärken von Kindern und Jugendlichen in Beteiligungsprozessen zu fördern?

Indem Prozessbegleiter(innen) Veränderungsprozesse mit Kindern und Jugendlichen so moderieren, dass sie selbst der Logik des Gelingens folgen, werden sie diese fragen:

(1) Welche Vorstellungen habt ihr davon, dass die Dinge für euch so gut geworden sind wie nur denkbar? Was davon funktioniert schon gut? Was tragt ihr selbst dazu bei? Wie macht ihr das? Wie habt ihr das gemacht, dass ihr so gut geworden seid? Was müsste passieren, damit „die Dinge“ so werden, wie ihr euch das vorstellt? Was könnt ihr selbst dazu beitragen?

Dadurch lenken sie die Aufmerksamkeit auf die Stärken, welche die Kinder und Jugendlichen in den Beteiligungsprozessen zeigen und wie sie diese erworben haben.

Wie kann Ihrer Meinung nach eine lösungs- und entwicklungsorientierte Begleitung und Moderation aussehen, die möglichst viele Kinder und Jugendliche in Beteiligungsprozessen erreicht?

Ich kann mir vorstellen, dass bereits die Sozialpädagog(innen) in Kindertagesstätten im Sinne der Logik des Gelingens mit den Kindern kommunizieren. Sie fragen dann beispielsweise: Wie würde das aussehen, wenn „die Dinge“ so gut geworden sind für dich (für euch), wie du dir (ihr euch) das nur wünschen kannst (könnt)? Wenn du (ihr) an die jüngste Vergangenheit denkst (denkt), was funktioniert schon gut? Was trägst du dazu, was trägt jeder von euch dazu bei? Wie hast du (wie habt ihr) das gemacht, dass du (ihr) so gut geworden bist (seid)?

Die Lehrer(innen) könnten in der Schule mit einem solchen Kommunikationsstil weiter machen.

Auf diese Weise erfahren Kinder und Jugendliche, dass sie Einfluss nehmen können auf eine wünschenswerte Entwicklung „der Dinge“ sowie ihrer selbst. So können sie erkennen, wie sie zu Akteuren ihrer Entwicklung werden.

Nennen Sie drei gute Gründe, warum es ein Gewinn für die Kommune ist, wenn Sie die Stärken von Kindern und Jugendlichen in Planungsprozessen fördert.

Wenn Kinder und Jugendliche in der Kindertagesstätte und in der Schule beginnen, im Sinne der Logik des Gelingens zu denken und zu handeln, erwerben sie die Stärken, aktiv an Planungsprozessen auch in der Kommune mitzuwirken. Die Kommune kann sich dann darauf verlassen, in ihren Reihen so gebildete Bürger zu haben, die in Planungsprozessen effizient und nachhaltig mitwirken.

Walter Spiess, PhD, studierter Psychologe und Pädagoge ehemals Professor an der Universität Flensburg, liegt das lösungsorientierte Arbeiten mit so genannten schwierigen Jugendlichen am Herzen.