Dr. Werner Lindner ist Professor an der Hochschule für angewandete Wissenschaften in Jena mit den Bereichen Jugendarbeit, jugendliche Ausländer, Jugendkultur. Er hat sich in seiner letzten Veröffentlichung in der „deutschen jugend“ mit dem Thema „Politikberatung und Lobbying für die Kinder und Jugendarbeit“ intensiv beschäftigt:
Herr Lindner, was bedeutet Politikberatung und Lobbying für die Kinder- und Jugendarbeit?
Politikberatung und Lobbyarbeit sind zwei neue, miteinander verbundene Methodenansätze, die in der Kinder- und Jugendarbeit bislang kaum systematisch und reflektiert angegangen worden sind. Hier ist noch erhebliche Entwicklungsarbeit erforderlich. Wir können hier einen Gestaltwandel des Politischen beobachten: gerade in neueren Governance-Konzepten wird Politik immer weniger „von oben“ dekretiert, sondern zusehends mit Bürgern ausgehandelt. Eine Vielzahl von neuen Partizipationsinstrumenten (Open Government, Bürgerhaushalt, Bürgerantrag etc.) ist hier zu nennen, die flankierend von Politikberatung/ Lobbying mitbedacht werden müssen.
Welche Bedeutung haben Jugendlichen in der Lobby – Strategie der Jugendarbeit?
Natürlich sind Jugendliche als Zielgruppe der Jugendarbeit und auch für die Jugendpolitik letztlich die ausschlaggebenden Adressaten; denn ganz ohne sie macht die Sache ja überhaupt keinen Sinn. Jugendarbeit kann hier advokatorisch tätig werden. Eine wirksame Verankerung und Durchsetzung jugendlicher Interessen und Themen ist aber weitaus besser in „konzertierter Aktion“ möglich: gemeinsam mit den sozialpädagogischen Fachkräfte der kommunalen und auch mit den Vertreter/innen der verbandlichen Jugendarbeit (und weiteren Verbündeten).
Können Jugendliche nicht viel überzeugender Jugendpolitik selbst gestalten?
Letztlich wissen Jugendliche (sofern man sie denn überhaupt als einheitliche Zielgruppe sehen kann) natürlich am besten über ihre Interessen und Themen Bescheid. Allerdings sind diese Interessen immer mit den Abläufen und Strukturen der Politik zu vermitteln. Hierbei kann die Jugendarbeit mit ihrem (hoffentlich vorhandenen Insider-Wissen) unterstützend tätig werden. Jugendliche und Jugendarbeit haben jeweils spezifische Vor- aber auch Nachteile in der Umsetzung von (kommunaler) Jugendpolitik; es geht darum, die Nachteile auszugleichen und die Vorteile zu bündeln.
Welche Bedeutung hat Jugendbeteiligung beim Lobbying?
Jugendbeteiligung hat dort ihren Sinn, wo Jugendliche sich direkt (unkonventionell, ohne Dienstweg, ohne Genehmigung) an die kommunalen Entscheidungsträger und an die Medien wenden und ihre Interessen unmittelbar vertreten können. Sie hat zudem dort ihren Sinn, wo Jugendliche in der Problemlösung direkt einbezogen und insofern auch mit in die Verantwortung genommen werden.
Welchen Beitrag können die AkeurInnen der Jugendarbeit für mehr Jugendbeteiligung leisten?
Sie können zunächst einmal die einschlägigen Paragraphen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (§ 1, § 8 SGB VIII) ernst nehmen. Aber das allein wird nicht reichen. Die traditionellen sozialpädagogischen Instrumente sind zu ergänzen durch kommunalpolitische und politikstrategische Maßnahmen. Gerade in den letzen beiden Bereichen hat die Jugendarbeit noch viel Nachholbedarf; denn bei Beteiligung geht es nicht (nur) um freundliches Gewähren lassen auf einer netten Spielwiese, sondern um Durchsetzung von Interessen auch gegen Widerstände. Das wird spätestens deutlich, wenn auch um Ressourcen und Finanzen gestritten werden muss.
Nennen Sie drei gute Gründe, warum es ein Gewinn für die Kommune ist, wenn Kinder und Jugendliche „Lobbyisten“ in eigener Sache werden?
1. Beteiligung wirkt als identitätsstiftender „Heimat- und Haltefaktor“ – was gerade in Zeiten des demografischen Wandels von erhöhter Bedeutung ist.
2. Die Übergabe der Verantwortung an die nächste Generation von Staatsbürgern kann vorbereitet und geübt werden.
3. Die Kommune wird lebendiger und kreativer, als wenn nur lediglich die traditionelle „Honoratiorenpolitik“ verfolgt wird
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Udo Wenzl.
Hinweis: Werner Lindner: Politikberatung und Lobbying für die Kinder- und Jugendarbeit. Hinweise für die praxisbezogene Umsetzung (in: deutsche jugend – Zeitschrift für Jugendarbeit, 60. Jg. Heft 1/ 2012, S. 18 – 26) oder auch in aktualisierter und ergänzter Variante auf der Homepage www.sw.fh-jena.de/fbsw/profs/